Erstmals seit seiner Unabhängigkeit vor sechs Jahren wählt Kosovo ein neues Parlament. Die Abstimmung wird von Korruptionsvorwürfen, gefälschten Wählerlisten und Konflikten mit der serbischen Minderheit überschattet. Die Wahlbeteiligung ist enttäuschend niedrig.
In der Krisenregion Kosovo haben die Bürger ein neues Parlament gewählt. Erstmals seit der Unabhängigkeit nahm auch die serbische Minderheit an der Abstimmung teil.
Offenbar aus Enttäuschung über die alles beherrschende Korruption, die wirtschaftliche Misere mit hoher Arbeitslosigkeit und eine nicht funktionierende Justiz war die Wahlbeteiligung jedoch unerwartet gering. Bis 15.00 Uhr hatten nur knapp 27 Prozent der 1,8 Millionen Wähler ihre Stimme abgegeben, teilte die staatliche Wahlkommission in Pristina mit.
Spasspartei will ins Parlament
Trotz Korruptionsvorwürfen gehen die meisten Umfragen von einem Sieg der PDK-Partei von Regierungschef Hashim Thaci aus. Die sozialdemokratisch geprägte Demokratischen Partei des Kosovo soll rund ein Drittel der Wählerstimmen erhalten. Für die konservative Demokratische Liga des Kosovo (LDK) wird mit rund 25 Prozent aller Stimmen gerechnet.
Vom Ausland geschnitten wird die nationalistische «Vetevendosje» («Selbstbestimmung»). Sie konnte jedoch bei der letzten Kommunalwahl in der Hauptstadt Prishtina punkten und könnte nun auf eine Zustimmung von 15 Prozent kommen.
Eine neue Partei machte in letzter Zeit von sich reden: Als «Starke Partei – Die Partei, die alles verspricht» hatte sie vergangenen Herbst ins Stadtparlament von Prishtina Einzug gehalten. Die Gruppierung stemmt sich mit Satire und Sarkasmus gegen die Mächtigen und will nun auch das nationale Parlament erobern.
Korruption und Mafiabeziehungen
Generell gehen Experten jedoch kaum von Überraschungen am Wahlsonntag aus, sind doch alle systemrelevanten Parteien in der Regel von einigen wenigen Oligarchen abhängig. Diese haben durch Stimmenkauf und Manipulationen der Wählerlisten grösseren Einfluss auf den Wahlausgang als die Bürger der Republik. Der Kosovo hat immer noch eine kaum funktionierende Staatsverwaltung.
Doch nicht nur die Partei von Regierungschef Thaci ist von Affären und mutmasslichen Mafia-Verbindungen belastet. Auch die zweitgrösste politische Kraft, die oppositionelle, konservative LDK, hat keine weisse Weste vorzuweisen.
Kürzlich sind zehn LDK-Mitglieder in der Stadtverwaltung von Prishtina wegen Korruptionsvorwürfen festgenommen worden. Es verwundert daher nicht, so der heimische Analyst Naim Rashiti, dass bei der letzten Wahl 2010 schätzungsweise rund 45 Prozent aller Wahlurnen manipuliert worden sein sollen.
Doch kein Boykott von Serben
Gleichzeitig fällt es dem jungen Land schwer, die serbische Minderheit zu integrieren, die weniger als zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht. Erst kurz vor der Parlamentswahl hat die serbische Minderheit ihre Boykottdrohung zurückgenommen.
Sie wollte erst an der Abstimmung nicht teilnehmen – weil auf dem Stimmzettel das Kosovo-Wappen prangt. Die Minderheit anerkennt den mehrheitlich von Albanern bewohnten Staat nicht an und sehen ihn nach wie vor als Provinz Serbiens.
Laut Verfassung sind jedoch für die verschiedenen Minderheiten der Balkan-Republik im Parlament Sitze reserviert. Von den 120 Sitzen gehen zehn an die Serben – sie haben also bei der Regierungsbildung womöglich ein Wörtchen mitzureden.
Denn die möglichen Koalitionen sind noch nicht fix. Während die PDK mit der LDK ein Bündnis formieren will, möchte sich diese mit den Nationalisten der Vetevendosje zusammenschliessen.
Stimmberechtigt sind laut der staatlichen Wahlkommission knapp 1,8 Millionen Bürger. Dies entspricht ziemlich genau der Einwohnerzahl, inklusive aller nicht-wahlberechtigten Kinder. Mit dieser offensichtlichen Manipulation der Listen zeigt sich nur eines der vielen Probleme der jungen Balkanrepublik.